Ein Rechtshistoriker erlebt einen rechtshistorischen Moment. Ein Gespräch mit Dr. Sven Korzilius in Santiago de Chile
WELTWEIT - Ein Podcast von Katrin und Mareike reden mit Gästen rund um den Globus
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Wir stellen uns vor, wie Sven in Brasilien Samba tanzt. Dort hat er einen Aufenthalt als DAAD-Fachlektor für Rechtswissenschaften absolviert und ist erstmals mit der südamerikanischen Kultur in Kontakt gekommen. Wir stellen uns vor, wie er, zurück in Deutschland, ein Schreiben in den Händen hält, in dem ihm eine lebenslange Verbeamtung als Richter in Aussicht gestellt wird. Wie er kurz zögert und sich im nächsten Moment gegen Sicherheit und für das Abenteuer entscheidet. Das Abenteuer, noch einmal als DAAD-Fachlektor in die Welt zu ziehen. Diesmal nach Santiago de Chile. Wir stellen uns weiter vor, wie er am Nachmittag des 18. Oktober 2019, ein Freitag, auf sein Fahrrad steigt, um nach seiner Vorlesung von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universidad de Chile nach Hause zu fahren, und sich darüber wundert, dass ihm so viele Menschen entgegenkommen und den Radweg versperren. Das war der Moment, in dem Sven, ohne es zu wissen, Zeuge des Ausbruchs der sozialen Proteste in Chile geworden ist. Ausgelöst durch eine marginale Erhöhung der Metro-Preise in Santiago, entwickelte sich die spontane Auflehnung von Schüler*innen und Studierenden in eine massive soziale Bewegung, die das ganze Land erfasste. Sie mündete in ein Plebiszit im Oktober 2020, in dem das chilenische Volk beschloss, seine Verfassung, die noch aus der Zeit der Militärdiktatur stammt und im Geist des Neoliberalismus steht, neu zu schreiben. In unserem Gespräch erläutert Sven Punkt für Punkt die Ursachen der Proteste, erklärt sie vor dem Hintergrund der chilenischen Geschichte und verdeutlicht, welche Rolle die Verfassung dabei spielt. Er spricht über seine eigenen Eindrücke aus dieser Zeit, die gesteigerte Kommunikation mit dem um die Sicherheit der von ihm entsandten Lehrkräfte besorgten DAAD, aber auch über die Faszination, die die Ereignisse in ihm ausgelöst haben. Im Mai 2021 hat Chile seine Vertreter für die verfassungsgebende Versammlung, die in Kürze ihre Arbeit aufnehmen wird, gewählt. Damit beginnt für Sven als Jurist der spannendste Teil des Prozesses, denn: Wie schreibt man eine Verfassung? Für die Zukunft sieht er Chile als stabil, seine Prognose für die Entwicklung des Landes ist vorsichtig optimistisch. Unverhofft ist er in ein sozial-politisches Abenteuer geraten, das seinen Aufenthalt im Gastland maßgeblich prägt. Er ist aber auch ein Mensch mit kulturell breitgefächerten Interessen und hat auf diesem Gebiet in Santiago Entdeckungen gemacht, die er mit Begeisterung teilt. Besonders das Aufgreifen von gesellschaftlichen Themen in Kunst und Kultur und interdisziplinäre Ansätze faszinieren ihn. Geht es zu weit, sich vorzustellen, dass darin Svens Wesen zum Ausdruck kommt: facettenreich, aufgeschlossen und immer neuen Zusammenhängen auf der Spur?Hier sind Svens Kulturtipps:Buch: Jorge Baradit, Rebeliónhttps://www.amazon.de/-/en/JORGE-BARADIT-ebook/dp/B0839PC7Q4/ref=sr_1_1?dchild=1&keywords=jorge+baradit+rebeli%C3%B3n&qid=1623685290&sr=8-1Musik: Maestro Luis Orlandini Maestro Luis Orlandini interpretiert “Junto al Generalife” von Joaquín Rodrigohttps://www.youtube.com/watch?v=LteVV8WRmpk&t=2367s (Minute 27:52 bis Minute 39:25) Tanz: Das Geisterhaus (Ballett von José Luis Dominguez), Municipal de Santiago:http://www.municipal.cl/entries/-la-casa-de-los-espiritusIndigene Kultur: Dokumentartheatergruppe KIMVNhttp://kimvnteatro.cl/Schätzt ihr die Situation ähnlich ein wie Sven? Wagt ihr Prognosen für Chiles Zukunft ? Hinterlasst gerne eure Kommentare.