Folge 55 - Wie wenig nütze ich bin (Hilde Domin)

Lyrikschule - Ein Podcast von Johannes Thiele

Manchmal überkommt uns das Gefühl, dass wir und unser Handeln folgenlos, unwichtig und irrelevant sind. Schon im Sisyphus-Mythos kommt diese Idee zum Tragen. Hilde Domin, die Dichterin des Dennoch, widmet sich im heutigen Text genau dieser Erfahrung und setzt ihr eine kleine trotzige Hoffnung entgegen.  Wie wenig nütze ich bin Wie wenig nütze ich bin, ich hebe den Finger und hinterlasse nicht den kleinsten Strich in der Luft. Die Zeit verwischt mein Gesicht, sie hat schon begonnen. Hinter meinen Schritten im Staub wäscht der Regen die Straße blank wie eine Hausfrau. Ich war hier. Ich gehe vorüber ohne Spur. Die Ulmen am Weg winken mir zu wie ich komme, grün blau goldener Gruß, und vergessen mich, eh ich vorbei bin. Ich gehe vorüber - aber ich lasse vielleicht den kleinen Ton meiner Stimme, mein Lachen und meine Tränen und auch den Gruß der Bäume im Abend auf einem Stückchen Papier. Und im Vorbeigehn, ganz absichtslos, zünde ich die ein oder andere Laterne an in den Herzen am Wegrand.