#22 Der Fall Kerstin: Die Sehnsucht nach der unbekannten Familie

An diesem Nachmittag ist viel los auf der Straße. Eine Gruppe von Kindern rennt aufgeregt hin und her. “Wirf mir den Ball zu!“ ruft Kerstin den anderen zu. „Hier guck, ich stehe frei.“ Die 6jährige ist ziemlich außer Atem, aber sie möchte schritthalten, um es den anderen zu beweisen. „Hier her, hier!“ wiederholt sie und wird dabei mit ihrer Stimme lauter. Aber der Junge mit dem Ball zieht an ihr vorbei und wirft zu einem anderen Mädchen, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dabei steht Kerstin direkt vor dem Tor. Trotzdem ignoriert der Junge Kerstin. Alle ignorieren sie. Das ist ein Gefühl, das Kerstin kennt. Kerstin bleibt stehen und lässt die Arme sinken. Es ist Herbst 1977 in einer Kleinstadt bei Ludwigsburg und seit einiger Zeit hat sich etwas verändert. Kerstin hatte nie viele Freunde. Aber nun verhalten sich die Schulkameraden auch noch merkwürdig. Warum nur? Mittlerweile ist ein Tor gefallen. Die Kinder jubeln, nur Kerstin nicht. In ihr steigt ein unangenehmes Gefühl hoch: Wut! Zielstrebig geht sie auf den Jungen zu. Sie ballt ihre kleinen Fäuste und ruft zornig: “Wieso werft ihr mir den Ball nie zu? Ich steh doch frei.” Der Junge zuckt mit den Schultern und will weiterrennen. Aber Kerstin lässt nicht locker. Sie packt ihn am Arm und wird noch lauter: „Warum lasst ihr mich nicht mitspielen?“. Da dreht sich der Junge um und baut sich vor Kerstin auf. Mit einem arroganten Ton setzt er an zu sprechen. Er sagt: „Mit dir wollen wir nicht spielen!“ Kerstin stutzt. Warum sagt er das? Ihre Stimme wird wieder unsicherer: „Wieso das denn?“. Der Junge geht einen Schritt auf Kerstin zu. Er holt tief Luft und gibt ihr eine Antwort, eine Antwort, mit der Kerstin nie gerechnet hätte. Schockiert bleibt sie stehen, als der Junge weiter Richtung Tor rennt. „Das ist eine Lüge!“, brüllt sie ihm hinterher. Tränen laufen dabei ihr Gesicht hinunter. Geknickt macht sich Kerstin auf den Heimweg. Als die anderen Kinder außer Sichtweite sind, sackt sie in sich zusammen. Sie setzt sich auf den Bordstein. Wie kommt der Junge darauf? An diesem Nachmittag taucht zum ersten Mal eine Frage in Kerstins Kopf auf. Die Frage lautet: wurde ich belogen? Diese Frage ist die Initialzündung für eine Suche. Eine Suche, bei der ich Kerstin Jahre später begleiten werde, und an deren Ende eine gute, aber auch eine sehr traurige Antwort stehen wird. Kontakt [email protected] Instagram https://instagram.com/julia_leischik https://instagram.com/this_is_michael_strasser Redaktion Sylvia Lutz Susanne Sandyk Annick Goergen Franziska Böhmer Ton Migo Fecke (Soundhouse) Eine Produktion der StellaLuisa GmbH In Zusammenarbeit mit Endemol Shine Germany und Rainer Laux Productions Du möchtest mehr über unsere Werbepartner erfahren? Hier findest du alle Infos & Rabatte: https://linktr.ee/spurlos_podcast

Om Podcasten

Seit über 18 Jahren sucht Julia Leischik weltweit nach verschwundenen Menschen. Zusammen mit ihrer Kollegin Sylvia Lutz erzählt sie nun in „Julia Leischik: Spurlos“ besondere, emotionale und rätselhafte Vermisstengeschichten. Die Betroffenen schildern dabei selbst spannende Details und emotionale Hintergründe. Julia Leischik ist nahe dran an jedem einzelnen Fall. Manche Verschwundenen konnten von ihr und ihrem Team bereits gefunden werden, bei anderen werden die Zuhörer um Mithilfe gebeten. Jede Geschichte hat einen neuen, überraschenden Ausgang. True Crime trifft Emotion – „Julia Leischik: Spurlos“, alle zwei Wochen neu am Mittwoch.