„Sie ist voller Sehnsucht nach ihrer Oma“ - #29ESD - Lesung Ruth Goldschmidt

Ruth Goldschmidt ist Hamburgerin. Sie lebt im Grindelviertel, dort, wo vor der Shoah die meisten Hamburger Jüd:innen leben. Sie ist noch jung, als die Eltern entscheiden, dass die Familie keine Zukunft in Nazideutschland hat. Ruths Vater hat glücklicherweise einen Argentinischen Personalausweis, sodass der die Auswanderung problemlos veranlassen kann. Doch zunächst geht Ruth mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Holland, wo sie sechs Jahre leben. Die Oma kommt wenig später nach, doch bald steht eine schmerzliche Trennung an. Die Familie emigriert im Oktober 1938 nach Argentinien und lassen die Oma zurück. Diese will nicht mit. Diese Trennung belastet Ruth ein Leben lang. Ihre Oma stirbt glücklicherweise, bevor die Nazis sie deportieren können in einem jüdischen Altenheim. Andere Verwandte haben weniger Glück. „Die sind alle, alle umgekommen", sagt Ruth Goldschmidt im Interview 2004. Sie erzählt auch von Ihrer Tante, einer Pianistin, die in Hamburg in einem jüdischen Kinderheim arbeitet und immer wieder Kindertransporte nach England begleitet hat. Sie kann später selbst nach England fliehen und überlebt so den Nationalsozialismus. Ruth tut sich in ihrer neuen Heimat Argentinien anfangs schwer ,ist aber überglücklich, dort endlich ihren Vater wieder zu sehen. Nach und nach wird sie heimisch. Als Erwachsene reist sie mit ihrem Mann auf Einladung des Hamburger Senats in ihre Heimatstadt. Erst hatte sie wenig Lust zu dieser Reise, Doch als sie dann dort ist, erlebt sie eine wunderbare Zeit. „Ich habe nur wenige Menschen in meinem Leben kennen gelernt, die so gut und so interessant waren.“ Diese Reise bringt ihr auch ihre frühen Kindheitserinnerungen zurück, den Teil ihres Lebens, den sie verloren glaubte. Sie erkennt die Tennisplätze am Rothenbaum und kann ihrem Mann ganz genau zeigen, hinter welchem Fenster der Flügel ihrer Tante gestanden hat. I Für die Moderation zu dieser Folge habe ich , Corinna Below, meine Freundin und Kollegin Hannah Böhme interviewt. Sie ist eine der EIN STÜCK DEUTSCHLAND Sprecher:innen. Vier der Texte hat sie für das Projekt eingesprochen. Die Geschichte von Ruth Goldschmidt hat sie zwar nicht selbst gesprochen. Dennoch hat sie mit dieser Protagonistin eine besondere Verbindung. Als sie vor Jahren nach Hamburg gezogen war, wohnte sie in der Schlüterstraße 86, genau gegenüber von der Wohnung, in der knapp 80 Jahre zuvor Ruth als Kind gelebt hatte.

Om Podcasten

"Wir können doch nichts dafür. Deutsch ist und bleibt unsere Muttersprache." In San Miguel, einem Ort nördlich von Buenos Aires, steht das Hogar Adolfo Hirsch, das Altenheim der Deutsch sprechenden Juden Argentiniens. Ungefähr 170 alte Menschen leben hier, inmitten eines großzügigen blühenden Parkgeländes. Alle sind Einwanderer der ersten Generation. Sie sind in Deutschland, Österreich oder Ungarn geboren und ihre Lebensgeschichten sind bis heute eng mit Deutschland verknüpft, mit dem Deutschland der Nazizeit. Wir haben 49 von ihnen besucht, um mehr über ihr Leben zu erfahren. Einige haben wir in ihren Zimmern aufgesucht, andere im Park getroffen oder in der Stadt. Hier erzählen 49 Männer und Frauen von ihrer Emigrationsgeschichte, ihrem Verhältnis zu Argentinien und ob sie je darüber nachgedacht haben, wieder in Deutschland zu leben. Die Initiatorin des Projektes, Corinna Below (Journalistin) spricht in diesem Podcast mit ihrem Freund und Kollegen Carsten Janz über die Schicksale der Vertriebenen. Dazu sind Gäste geladen, Experten aber auch Verwandte oder Zeitzeugen. Und auch aktuelle politische Entwicklungen werden hier besprochen. Gegen das Vergessen.