Kein Grund zu nationalem Freudentaumel

Auf den Tag genau - Ein Podcast von Jan Fusek, Fabian Goppelsröder und Robert Sollich

Auch am 22. März 1921, zwei Tage nach dem Urnengang, beherrschte noch immer das überraschend starke Votum für einen Verbleib Oberschlesiens bei Deutschland die Schlagzeilen in der Presse, die ihre Genugtuung über diesen Ausgang der Volksabstimmung bis weit ins linke politische Spektrum hinein nicht verbergen mochte. Eine seltene Ausnahme bildete in diesem Reigen ein Kommentar aus der Freiheit, der sich dem nationalen Überschwang mit zwei wesentlichen Argumenten entzog. Zum einen betrachtete er die Resultate etwas differenzierter und kam dabei zu dem Ergebnis, dass es ausgerechnet in den industriell bedeutsamsten Wahlkreisen mit der deutschen Mehrheit doch nicht so weit her war. Zum anderen wies er darauf hin, wie wenig die chauvinistischen Kampagnen von beiden Seiten eigentlich einer Region gerecht würden, in der die Menschen meist beide Sprachen beherrschten und auf die Frage nach ihrer Herkunft traditionell – und teilweise bis heute – weder ‘deutsch‘, noch ‘polnisch‘, sondern ‘schlesisch‘ antworteten. Es liest Frank Riede.