Joseph Roth: Die Welt mit den zwei Seiten

Auf den Tag genau - Ein Podcast von Jan Fusek, Fabian Goppelsröder und Robert Sollich

Die alten Römer verehrten Janus, den Gott des Anfangs und des Endes, den Gott, der die Dualität in den ewigen Gesetzen symbolisierte. Der oftmals doppelgesichtig Dargestellte stand für die Verknüpfung von Zerstörung und Schöpfung, von Licht und Dunkelheit oder von Leben und Tod. Dass der Mensch in sich auch janusköpfig ist, indem er widersprüchliche Emotionen und Beweggründe in sich trägt, dämmerte dementsprechend nicht erst dem Schriftsteller und fleißigen Feuilletonisten Joseph Roth, der am 14. Oktober 1922 über die Dualität der Welt für den Vorwärts schrieb. Seine Überlegung, die ausgeht von der Beobachtung des Rathenau-Prozesses, bleibt aber nicht auf der Ebene der Beschreibung einer anthropologischen Grundkonstante, sondern entwickelt eine klare politische und pazifistische Position. Für die mußte Roth sich beim Vorwärts sicherlich nicht rechtfertigen, wo er vorübergehend publizierte, nachdem er kurz zuvor beim Berliner Börsen-Courier gekündigt hatte – mit folgender Begründung: „Ich kann wahrhaftig nicht mehr die Rücksichten auf ein bürgerliches Publikum teilen und dessen Sonntagsplauderer bleiben, wenn ich nicht täglich meinen Sozialismus verleugnen will.“ Seine Betrachtung der Welt mit zwei Seiten liest für uns Frank Riede.